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14. Oktober 2011
Fr
20:30

 
piano puzzle
Andreas Skouras – Klavier
spielt
Hans-Jürgen von Bose: Klaviersonate (UA)
Nikolaus Brass: Lieder auf der Flucht
Volker Nickel: piano puzzle pieces, erste Gesamtaufführung des Zyklus' und UA des vierten Teiles

     
    Hans-Jürgen von Bose: Sonate (1971/2011) (UA)
I. Allegro vivace
II. Molto tranquillo
III. Valse
IV. Rondo/Toccatina

Nikolaus Brass: Lieder auf der Flucht- Klaviermusik II (1982)

(Pause)

Volker Nickel: Kammermusik IX: Piano Puzzle Pieces (2009) (erste Gesamtaufführung und zugleich UA des vierten Teiles)
I. Teil
I.1 Nur die Lampen wachten noch:
I.2 Die Katze auf dem Tisch:
II. Teil
II.1 Ganz dicht die Hufspur des Mondes.
II.2 Hinter der Fensterscheibe, ganz hoch: das eisige Kanu des Mondes.
II.3 Düfte prielten durcheinander
III. Teil (Variationen)
III.1 (hinten manchmal nussige Muschelrinde);
III.2 ...und die Erde segelte schief hindurch...
III.3 Ein weinroter Filzkreis:?
III.4 ...die Zuckertüte drückte ich stumm in ihre Arme...
IV. Teil
IV.1 Schon das erste bisschen Sonne wieder:
IV.2 (mit einem Rauchstrich,...)
IV.3 ...mit einer Schaufel voll Glut (...) als Qualmläufer die Treppe empor.
     
    Der Abend wurde vom Bayrischen Rundfunk mitgeschnitten



Ein Projekt von Andreas Skouras in Zusammenarbeit mit Schwere Reiter MUSIK

     
    Karten zu Euro 12,- und 8,- (erm.)
unter 089 - 3249 4270 und reservierung@schwerereiter.de und an der Abendkasse
     
   

200 Jahre nach Franz Liszts Geburt- Pianistik der Neuzeit

Es tut fast schon gut, wieder über instrumentgerechtes Komponieren sprechen zu dürfen, zumal kein anderes Instrument eine so reiche Geschichte aufweisen kann wie das Klavier. Bei aller Menge großartiger Werke unterschiedlichster ästhetischer Ansätze nach 1945 sind seitdem Ideale wie Gesanglichkeit, Klangschönheit etc. wie sie bis in die Anfänge des vorigen Jahrhunderts selbstverständlich waren eher selten anzutreffen. Zugleich bedeutet die klassische Tradition oft eine große Hürde, die es für die Komponisten der Neuzeit zu überwinden gilt.

Hans-Jürgen von Boses Klaviersonate war das Werk eines hochbegabten 17jährigen. Freilich sind in der ursprünglichen Version von 1971 starke Anklänge an Prokofiev, Milhaud, Mahler, Bernd Alois Zimmermann oder sogar an Liszts h-moll Sonate deutlich zu erkennen und durchaus legitim, war der Komponist doch noch in den Anfängen seiner Entwicklung. Doch diese erfolgte mit beispielloser Geschwindigkeit, sodass z.B. die vier Jahre später komponierte Sonate für Violine solo oder das in derselben Zeit entstandene sträflicher weise noch immer unuraufgeführte (erste) Klavierkonzert als völlig ausgereift gelten können. Als ich die Gelegenheit bekam 2006 den ersten Satz der Klaviersonate uraufzuführen war ich trotz besagter kompositorischer Einflüsse fasziniert von der Offensichtlichkeit des Talentes des damals blutjungen Komponisten. Doch um ein Vielfaches hat mich die erst wenige Tage vor dem Konzert fertig gewordene Überarbeitung beeindruckt. Von Bose gelingt es exemplarisch das Wesentliche der Urfassung beizubehalten und die Gestalt des Inhaltes unverändert zu belassen, zugleich jedoch das Werk so zu bereichern, als hätte er es jetzt neu geschaffen. Harmonische Erweiterungen, metrische Aufsplitterung, polyphone Verdichtung sind die Hauptmerkmale dieses Prozesses wobei thematisches Material und Form so gut wie unverändert geblieben sind. Die Sonate stand und steht in beiden Fassungen ganz in der Tradition der (spät- bzw. post-) Romantik, ist also ganz aus der Idee des konzertant-Instrumentalen heraus geschrieben. Es war zwar letztendlich György Ligeti, der mit der ersten Sammlung seiner Klavieretüden (1985) eben solche Attribute wieder salonfähig machte, doch schon 1971 begriff (instinktiv?) der junge von Bose, dass Besinnung auf die Tradition nicht verwerflich sein muss.        

Nikolaus Brass ist der einzige Komponist des Abends, der sich der Technik der Präparation und somit einer Erfindung des 20. Jahrhunderts bedient, wenn auch nur im kleinen Rahmen. Doch geht es ihm trotzdem darum „das Klavier zum Klingen zu bringen. Das Klavier sollte-unter Schlägen-singen“ (N. B.). In der Tat finden sich trotz gelegentlicher flächiger Landschaften brutale und unerbittliche Akkord- und Einzeltonfolgen, die das Werk zu zersplittern drohen. Dies entspricht freilich der trostlosen Stimmung des gleichnamigen Gedichtes von Ingeborg Bachmann, an das sich der Komponist lehnt.

"Die Liebe hat einen Triumph und der Tod hat einen,
die Zeit und die Zeit danach.
Wir haben keinen.

Nur das Sinken um uns von Gestirnen.
Abglanz und Schweigen.

Doch das Lied überm Staub danach
wird uns übersteigen."

Von besonderem Interesse ist sicher auch die Tatsache, dass es sich um ein „Frühwerk“ Brass‘ handelt, entstanden lange bevor der Komponist zu Ruhm gekommen war. Und obwohl es sich um ein vollkommen geschlossenes, formal ausgeglichenes Werk handelt, verschwand es nach der Uraufführung in Stuttgart durch Bernhard Wambach in der Versenkung. Es war übrigens Brass‘ zweite Arbeit für das Klavier nach Passatempi für zwei Instrumente und blieb das einzige Solostück vor Void (1999). Rückblickend verglichen mit diesem ist Lieder auf der Flucht ausladender und trotz der sparsam eingesetzten Mittel bei weitem nicht so Feldmanisch reduziert. Aber auch schon 1982 wusste Brass den Kern seiner Aussage klar zu formulieren, jeglichen Überfluss zu vermeiden und mit jeweils wenigen Tönen äußerst ausdrucksstarke Geflechte zu knüpfen. 

Literarisch ist auch der Ansatz von Volker Nickels Piano Puzzle Pieces. „Die Satzüberschriften erinnern an den Flecken Ahlden: Ort der langen Verbannung Prinzessin Sophie Dorotheas (erste Frau Georg I.) und Schauplatz des berühmten Romans Das steinerne Herz von Arno Schmidt.“, so der Komponist im Vorwort seiner Ausgabe.

Nickel haderte lange verantwortungsbewusst mit der Tradition der alten Klaviermeister, was ihn daran hinderte, sich der Komposition für dieses Instrument anzunehmen. Mit Sicherheit war die gelungene Instrumentalbehandlung in dem Duo Zyklus mit Violine „wie die dinge aus ton“ (2008) und auch der Einsatz des nahezu konzertanten Klavieres in der „distant music“  für Kammerensemble (ebenfalls 2008) mit ein Ansporn, sich doch an ein Solowerk zu wagen. Und wie es oft in ähnlichen Fällen passiert, ist trotz der anfänglichen Hemmung innerhalb kürzester Zeit nicht nur ein Stück sondern eruptiv ein großdimensionierter Zyklus entstanden, der meiner Meinung nach zu dem Wertvollsten gehört, was in jüngster Zeit für das Klavier geschrieben worden ist.

 „…Arno Schmidt arbeitete mit einem Zettelkasten. Beim Komponieren der PPP knüpfe ich an diese Technik an. Durch sie ist die Form des Zyklus‘ quasi von innen nach außen aufgebaut. Wie ein Puzzle ist das Stück aus einer enormen Fülle einzelner Teilchen zusammengefügt.“ (V. N.) Trotz des unscheinbar und spielerisch-leicht klingenden Titels handelt es sich um ein äußerst gewichtiges Werk, dessen vier Teile bzw. zwölf Stücke zwar für sich allein Bestand haben und auch so aufgeführt werden können, doch erst in ihrer Gesamtheit den ganzen Reichtum ihres Inhaltes und ihrer dramaturgischen Konzeption offenbaren. So ist der erste Teil gleichsam eine Introduktion auf das Folgende. Das erste Stück Nur die Lampen wachten noch  mit seinen barocken Verzierungen stellt eine Hommage an die französischen Clavecinisten dar, das darauffolgende Die Katze auf dem Tisch: dagegen überrascht mit seiner Wucht, als ob das Tier deutlich mehr Schäden anrichten würde als nur das Geschirr zu zerbrechen. Der zweite Teil beginnt mit einem Kanon (Ganz dicht die Hufspur des Mondes.), der sich aber bald in improvisatorischen Girlanden verliert um sich schließlich hastig zu verflüchtigen. Es folgt das wohl „schönste“ Stück des Zyklus‘ Hinter der Fensterscheibe, ganz hoch: das eisige Kanu des Mondes.- helle, klirrende Akkordfolgen, die gelegentlich Landschaften aufleuchtender Fremdtöne zu durchstreifen scheinen. Schließlich ein luftig-virtuoses Stück (Düfte prielten durcheinander) als Finale des zweiten „Aktes“.

Alsdann werden die Teile zunehmend gewichtiger. Auf eine Trillerstudie (hinten manchmal nussige Muschelrinde)- man denke an das erste Stück des ersten Teiles, in dem die Verzierungen (dort Praller und Mordente) eine ebenso zentrale Rolle spielten- folgen das dreiteilige …und die Erde segelte schief hindurch… und das vierteilige Ein weinroter Filzkreis:? Diese beiden kleingliedrigeStücke sind Miniwelten für sich und verdeutlichen Nickels Neigung zur komprimierten Form, einer Eigenschaft, wie sie Anton Webern exemplarisch vormachte. Es mag kein Zufall sein, dass der erste Abschnitt von Nickels 3.2. an den ersten Satz der Webernschen Variationen op. 27 entfernt zu erinnern scheint. Das vierte Stück schließlich (…die Zuckertüte drückte ich stumm in ihre Arme…) beginnt wie ein zart- lyrisches Duo- kein Duett, denn die Charaktere stehen in einer Art opositionierendem Dur- moll Kontrast zueinander- um in einem energisch-hastigen aber trotzdem marmornen-brillanten Ausgang zu gelangen.

Danach zu Beginn des vierten Teils  überraschende C-Dur Diatonik (Schon das erste bisschen Sonne wieder:), kanonisch verarbeitet. Das zweite Stück (mit einem Rauchstrich,…) ist ein Rückblick auf Satz 2.1. in Bezug auf Stimmung und Rhythmik, allerdings ausgedehnter und in der Form ABA. Schließlich fasst ein zehnteiliger Satz (…mit einer Schaufel voll Glut…) kaleidoskopisch den ganzen Zyklus zusammen, obwohl er neues Material einführt und somit nicht einfach schon gehörtes miteinander zu verbinden versucht.

Die zwölf Stücke sind trotz scheinbarer Freiheit, improvisatorischer Spielart und  rhythmischer Unregelmäßigkeit mit den Mitteln kompromissloser Kontrapunktik zusammengehalten. Alles entsteht aus einem Guss und ist (unhörbar) strukturiert wie eine Renaissance-Motette. Und mit jener hat Nickels Musik noch eine Gemeinsamkeit: die Tiefe ihres Inhaltes.

Andreas Skouras

     
    Der griechisch- deutsche Pianist und Cembalist Andreas Skouras wurde 1972 in Thessaloniki (Griechenland) geboren und studierte Klavier bei Prof. Franz Massinger und Cembalo bei Prof. Lars Ulrik Mortensen sowie Prof. Ketil Haugsand an der Hochschule für Musik und Theater München. 
Konzertauftritte, CD-, Rundfunk- und Fernsehproduktionen als Pianist und Cembalist mit Orchester oder solo, Kammermusik- und Liederabende führen ihn regelmäßig ins europäische Ausland zu Festivals wie „Early Music“ London, Sacrum Profanum in Krakau, Festival Aix-en-Provence, den Sommerkonzerten zwischen Donau und Altmühl, dem MDR Musiksommer, dem Bluval Festival, les museiques in Basel oder Gidon Kremers „Lockenhaus“ sowie in die USA, wo er u. a. in New Yorks Carnegie Recital Hall auftrat. Zu seinen Kammermusikpartnern zählen Peter Sadlo, Wen- Sinn Yang, Lars Ulrik Mortensen, Gábor Boldoczki, Nicolas Hodges und Minas Borboudakis. Skouras’ Präzision und eine sehr schnelle Einarbeitungszeit in ihm unbekannte Werke machen den Künstler inzwischen zu einem gefragten Interpreten, er spielte u.a. mit dem Münchner Kammerorchester, dem ASKO Ensemble, dem Ensemble Intercontemporain, den Nürnberger Symphonikern, dem English Chamber Orchestra und dem Georgischen Kammerorchester Ingolstadt unter Dirigenten wie Peter Eötvös, Sasanna Mälkki, Lucas Vis, Ralf Gothoni, Constantinos Carydis, Markus Poschner, Christoph Poppen und Jac van Steen. Andreas Skouras’ Repertoire umfasst vollständig das Wohltemperierte Clavier und die Kunst der Fuge J. S. Bachs, sämtliche Mozart- und Haydn-Sonaten, aber genauso auch Werke von Komponisten der Romantik. So führte er 2007 das gesamte Klavierwerk von Johannes Brahms in München und Leipzig zyklisch auf. Im Frühjahr 2006 hat Andreas Skouras Carl Orffs „Tanzende Faune“ in der Version für Klavier zu zwei Händen im Orff-Zentrum München uraufgeführt. Seine intensive Beschäftigung mit zeitgenössischer Musik spiegelt sich in der Zusammenarbeit mit vielen namhaften Gegenwartskomponisten wider, von denen die meisten Stücke für ihn schrieben – u. a. B. Hummel, Zechlin, Corcoran, Schwenk, Kiesewetter, Terzakis, Acker, Kochan, Stadlmair, Baur, Glanert, Schtschedrin, Borboudakis, Weiß, Stahnke, Aho, Tiensuu, Bolcom, Wuorinen & Eliasson. 
Zu seinen Einspielungen zählen u.a. das sämtliche Werke von Kalevi Aho, Anders Eliasson und Bernd Alois Zimmermann aber auch zahlreiche Werke von Scarlatti und Haydn über Schönberg und Stravinsky bis zu Tiensuu, Wuorinen und Yun. Andreas Skouras unterrichtet Cembalo an der Hochschule für Musik und Theater in München und gibt regelmäßig Meisterkurse für Klavier am staatlichen Konservatorium in Tiflis. Er wurde u.a. mit dem Stipendium für Musik der Stadt München und dem Bayrischen Kunstförderpreis ausgezeichnet.
     
    Volker Nickel wurde am 31.12.1970 in Augsburg geboren. Erste Impulse zur eigenen künstlerischen Arbeit erhielt er im künstlerisch geprägten Elternhaus und während seiner Schulzeit auf dem musisch-humanistischen Gymnasium bei St. Stephan in Augsburg. Er erhielt Klavier-, Violoncello- und Kompositionsunterricht. Als Schüler nahm er an Treffen junger Komponisten der Jeunesses musicales auf Schloss Weikersheim und an den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik teil. In Weikersheim lernte Nickel Hans-Jürgen von Bose kennen, der ihn nach München einlud und privat unterrichte. Nach dem Abitur studierte Nickel zunächst in Augsburg und München Musikwissenschaft, Psychologie und Philosophie, ehe er zum Kompositionsstudium bei Hans-Jürgen von Bose an die Hochschule für Musik und Theater ging. Die Werke Volker Nickels sind durch eine präzise kontrapunktische Ausarbeitung, diskontinuierliche formale Verläufe und eine farbenreiche Harmonik geprägt. Ihre Struktur gewinnen sie oft aus einer ans Zettelkasten-Prinzip erinnernden Arbeitsweise und Montagetechnik. Nickels Arbeit, die Kammer-, Ensemble-, und Orchestermusik, pädagogische Werke, sowie Werke fürs Musiktheater umfasst, wurde vielfach ausgezeichnet, darunter mit dem Förderpreis der Ernst von Siemens- Musikstiftung und einem Stipendium an der Cité Internationale des Arts in Paris.
     
    Hans-Jürgen von Bose wurde am 24. Dezember 1953 in München geboren. Häufige Umzüge seiner Familie, Internats- und Auslandsaufenthalte prägten seine Kindheit. Erste autodidaktische musikalische Studien vertiefte er ab 1969 am Frankfurter Hochschen Konservatorium, wo er Unterricht in den Fächern Klavier und Musiktheorie erhielt.
Nach dem Abitur 1972 begann von Bose ein Studium an der Musikhoch-schule Frankfurt bei Hans Ulrich Engelmann (Komposition) und Klaus Billing (Dirigieren und Klavier).
Von seinen zahlreichen Stipendien und Auszeichnungen sind hier nur einige zu nennen: Berliner Kunstpreis (1977), Stipendien an der Villa Massimo in Rom (1980 und 1985), Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste München (1985), Schneider-Schott-Musikpreis (1988), Musik-Förderpreis der Ernst-von-Siemens-Stiftung (1994) und Preis der Christoph-und-Stephan-Kaske-Stiftung in Anerkennung seiner pädagogischen Verdienste (1998). Von Bose erhielt Aufträge renommierter Musiktheater wie der Hamburgischen Staatsoper (Blutbund, 1977) oder weltberühmter Orchester wie der Berliner Philharmoniker (Idyllen, 1982/83).
Neben Kompositionen im Bereich der Vokal-, Orchester- und Kammermusik hat von Bose bisher zehn Bühnenwerke geschrieben. Zu seinen erfolgreichsten Opern zählt die mit dem "BMW-Musiktheaterpreis" sowie dem "Prix de Composition Musicale de la Fondation Prince Pierre de Monaco" ausgezeichnete Oper 63: Dream Palace, die 1990 bei der Münchener Biennale uraufgeführt wurde.